Vor ein paar Tagen bin ich durch Eimsbüttel geschlendert und an der wunderbaren Buchhandlung Lüders vorbeigekommen. Hier durfte ich vor etlichen Jahren (ist es wirklich schon 12 Jahre her…?) mein erstes Praktikum machen. Ein fabelhafter Buchladen, der zum stöbern verführt und immer noch zu meinen Lieblingsorten in Hamburg zählt. Sie haben eine kleine, aber gut sortierte Bilderbuchecke, in der ich einen Schatz gefunden habe: “Papa ist doch kein Außerirdischer!” von Anna Boulanger. Ein Buch, das alle Vorurteile gegenüber Homosexualität mit historisch anmutenden, zarten Illustrationen ad absurdum führt.
Viele Namen für eine einfache Erklärung
Theo verbingt jedes Wochenende bei seinem Vater. Für ihn heißt er Paul oder Papa. Andere Menschen nennen seinen Vater jedoch Höhlenforscher, Torfstecher oder Warmer. Sein Vater erhält allerlei Spitznamen, die Theo nicht versteht. Eines Tages erzählt Theo seinem Vater von den vielen Namen und versteht:
“Die ganzen Sachen, die ich gehört habe, bedeuten einfach nur, dass mein Papa schwul ist. Das heißt, dass er Männer liebt.”
Anna Boulangers Bilderbuch beschäftigt sich kindlich naiv mit den Auswirkungen der Sprache auf unser Denken. Das Vorsatzpapier dieses wunderschön gestalteten Bilderbuches zeigt Fetzen von Wörterbucheinträgen: Alles Synonyme für Homosexualität. Boulanger hat die Wörter zusammengetragen und ihnen, im wahrsten Sinne des Wortes, Flügel verpasst. Neben den schwebenden Wörterbucheinträgen steht ein junger Mann mit suchendem Gesichtsausdruck und Höhlenforscher-Equipment – verloren zwischen den vielen Doppeldeutigkeiten.
“Papa ist doch kein Außerirdischer!” hat mich von Beginn an verzaubert. Die Illustrationen des Buches wirken surreal und irgendwie aus der Zeit gefallen. Wie ein Scherenschnitt gepaart mit einem Spitzweg-Gemälde. Dabei bebildern sie Theos kindlich naive Gedankengänge: Mal schreibt der Vater Gedichte, deren Versfüße sich auf und davon machen, mal vergoldet Papa Paul einen Zylinder oder rudert ans andere Ufer. Theo malt sich fantasievoll aus, was die anderen Leute über seinen Papa sagen und kann sich doch keinen Reim darauf machen. Am Ende scheinen alle Umschreibungen lächerlich kompliziert, für die einfachste Sache der Welt: Papa liebt eben Männer. Was ist schon dabei?
Nennt das Kind beim Namen
Es ist befreiend, wie “Papa ist doch kein Außerirdischer!” mit der Homosexualität des Vaters umgeht. Es gibt keine Argumente oder Erklärungen: Es ist wie es ist. Papa liebt Männer. Punkt. Man kann förmlich hören, wie Theo am Ende des Buches zu seinem Vater sagt: “Und warum sagen die Leute dann nicht einfach, dass du schwul bist anstatt diese vielen Umschreibungen zu gebrauchen?” “Papa ist doch kein Außerirdischer!” ist kein Problembuch, es wird kein Konflikt aufgemacht. Vorurteile werden entlarvt und letztendlich regt das Buch dazu an, über seinen eigenen Sprachgebrauch nachzudenken. Auch unabsichtlich genutzte Umschreibungen sind verletzend. Homosexualität sollte im Jahr 2017 kein Konfliktthema mehr sein. Umso schöner, dass so unaufgeregte Bilderbücher wie dieses dazu beitragen.
“Papa ist doch kein Außerirdischer”
von Anna Boulanger
ISBN 978-3-942795-43-2
Erschienen im September 2016
Kunstanstifter Verlag