Und weiter geht’s! Im letzten Blogbeitrag zur italienischen Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland wurde das Pferd von hinten aufgezäumt, nun wird es aktueller. Dieser zweite Teil behandelt die Kategorien “Die Aktuellen”, “Die Bilderbücher” und “Die ganz jungen Autorinnen”. Der dritte Blogbeitrag der Serie beleuchtet dann schlussendlich “Die erwachsenen Autor_innen”, “Die Fantasy-Autor_innen” und “Die Stillen”. Wir wünschen euch viel Spaß bei der Lektüre!
Die Aktuellen
Die Kinder heute kennen vielleicht „Gironimo Stilton“ – ohne diese bunten Mäuse-Geschichten als ursprünglich italienisch zu identifizieren (Ü: Gesine Rickers/Carsten Jung). Vielleicht kennen sie die Reihen „Ulysses Moore“, „Century“ oder „Der Zauberladen von Applecross“ – auch hier ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen, dass dahinter der Autor Pierdomenico Baccalario steht (Ü: Cornelia Panzacchi, Barbara Neeb, Katharina Schmidt). Baccalario, der in London lebt, ist einer der umtriebigsten Autoren Italiens, hat unzählige Serien geschrieben (vermutlich mit Hilfe von unzähligen Ghost-Writern) und ist in Deutschland bei verschiedenen Verlagen erschienen (Coppenrath, cbj, Fischer). Das war nicht unbedingt hilfreich, denn so hat er hier verlagstechnisch kein wirkliches Zuhause. Jugendliche haben jüngst vielleicht „Staubgeboren. Stadt der Vergänglichen“ (Ü: Christiane Burkhardt) von Fabio Geda gelesen, doch spielt dieser Auftakt einer Reihe in Berlin und verweist nicht auf Italien. Ob die Nachfolgebände auch übersetzt werden, ist mir momentan nicht bekannt. Es ist aber nicht ungewöhnlich, dass die Verlage Reihen eingehen lassen, wenn sich kein Erfolg einstellt (dazu später unten mehr).
All diese Titel haben neben den italienischen Urhebern gemein, dass sie nicht die italienische Realität spiegeln, sondern in Fantasywelten, historischen Zeiten oder dystopischen Szenarien spielen. Oder unsere tatsächliche Welt global betrachten. Damit werden sie für deutsche Leser_innen interessant, da hier die allgemeine Fantasie gefordert ist und keine Kenntnis italienischer Realität.
Wer von euch KJB-Begeisterten den Deutschen Jugendliteraturpreis verfolgt, dem dürfte momentan der Roman „Die Mississippi-Bande“ von Davide Morosinotto (Ü: Cornelia Panzacchi) bekannt sein. Er spielt Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA und ist eine mitreißende Abenteuergeschichte. Auf der Nominierungsliste steht in der Sparte Sachbuch dieses Jahr sogar noch ein zweites italienisches Buch: „Der Dominoeffekt – oder die unsichtbaren Fäden der Natur“. Darin erzählt der Insektenexperte Accinelli in 18 Geschichten, wie der Mensch die Natur tiefgreifend beeinflusst, wenn er sie bearbeitet, beackert, Tiere fängt, züchtet oder aussetzt.
Die Bilderbücher
In Sachen Bilderbüchern ist es für mich etwas schwierig einen Rückblick zu liefern, denn von den unzähligen Bilderbüchern, die in Italien entstehen, werden die meisten nicht übersetzt. Ein Klassiker unter den Büchern für die kleinsten Italiener ist mit Sicherheit „Pimpa“ von Comiczeichner Francesco Tullio Altan, der in den 80er Jahren den Kunden von Schreiber & Leser bekannt gewesen sein dürfte. Pimpa ist eine rot gepunktete Hündin, die Altan ab 1974 für die Kinderbeilage der Tageszeitung Corriere della Sera zeichnete. Heute gibt es sie als Bücher, zum Teil sind es Comics, zum Teil Bildergeschichten. Übersetzt ist Pimpa nicht.
Einen gewissen Eindruck über die vielfältige Illustratoren-Szene Italiens habe ich im Laufe der vergangenen zwei Jahre gewonnen, seit ich die ersten Bilderbücher übersetzt habe. Allerdings ist meine erste Bilderbuchübersetzung, „Der goldene Käfig“ von Anna Castagnoli, nicht von einem Italiener, sondern vom Belgier Carll Cneut illustriert worden. Wegen Cneuts opulenten Vogel-Illustrationen waren wir für den Deutschen Jugendliteraturpreise 2016 in der Sparte Bilderbuch nominiert.
Als Folge der Nominierung habe ich dann die Bilderbücher „Schlaft, Tierchen schlaft“ von Simona Mulazzani mit den Illus von Giovanna Zoboli – gereimte Gute-Nacht-Gedichte – für den Schaltzeit Verlag,„Zusammen umarmen wir die ganze Welt“ von Manuela Monari mit den Illus von Evelyn Daviddi, für Coppenrath, und „Vorsicht, roter Wolf!“ von Marco Viale, für Sauerländer, übersetzen dürfen.
So unterschiedlich die Geschichten, so unterschiedlich sind auch die Illustrationsstile. Eine Bewertung dieser Bücher werde ich hier nicht abgeben, sondern kann nur sagen:
Das Übersetzen von Bilderbüchern ist eine Gratwanderung zwischen Frust und Freude.
Auf eingeschränktem Raum die wenigen richtigen Worte zu finden, die das Gefühl der Geschichte in kurzen Texten angemessen rüberbringen, ist trotz oder wegen der Kürze nicht mal eben getan. Bis die endgültige Fassung steht, ändere ich immer und immer wieder Worte und Satzstellung, streiche oder füge hinzu. Da können dann bis zu zehn Versionen entstehen. Manchmal hilft auch erst der distanzierte Blick der Lektorin zu einer endgültigen Lösung. Doch trotz der Arbeit ist es für mich auf jeden Fall immer ein Fest!
Kurzer Exkurs zu den Buchcovern: Einer der momentan bekanntesten Illustratoren Italiens ist Iacopo Bruno, der in Deutschland demnächst durch die neuen Harry-Potter-Cover noch präsenter sein wird. Zuvor hat er bereits Eoin Colfers „Swarp“, Soman Chainanis „School of Good and Evil“, Baccalarios „Ulysses Moore“, „Das Volk von Tarkaan“ und „Der Zauberladen von Applecross“ oder Alan Bradleys „Flavia de Luce“ illustriert. Insgesamt hat er mehr als 300 internationale Buchcover gestaltet. Man könnte fast sagen, ohne dass es uns bewusst ist, hat ein Italiener unsere Sehgewohnheiten in Sachen Cover mitgeprägt. (Ich kenne mich ehrlich zu wenig mit Grafik und Cover-Tendenzen aus, finde die neue HP-Verpackung auch nicht besonders toll, aber es ist schon beeindruckend.)
Die ganz jungen Autorinnen
Ein spezielles Phänomen, das mir beim Übersetzen begegnet ist, sind die ganz jungen Autorinnen in Italien, die schon als Teenager bei Publikumsverlagen Bücher veröffentlichen. Zumeist sind dies Teenie-Liebesgeschichten, die auch bei uns funktionieren. So ging es 2008 mit den Romanen von Valentina F. los. 15-jährig hat sie begonnen ihre Liebesgeschichte um Vale und Marco zu schreiben, die auf Deutsch die Titel „HDGDL“ (Ü: Katja Massury), „ZDOZM – Zu dir oder zu mir“ (2009), „SGUTS – Schlaf gut und träum süß“ (2010) tragen. Diese Mädchenträume wurden zu stillen Bestsellern, die mehrere Auflagen erlebt haben. Die Leserinnen waren so begeistert, dass sie über Jahre immer wieder nachgefragt haben, wann der vierte Teil der Reihe den käme. Schließlich hat Fischer 2015 auch „2L8 – Too late“ herausgebracht.
Dieses Vorbild hat den Verlag über die Jahre dann veranlasst nach anderen jungen Autorinnen Ausschau zu halten. Sie fanden Erica Bertelegni, die bereits mit 13 ihr Debüt vorlegte: „99 und (m)ein Wunsch“. Darin hat die Schülerin Aurora 100 Wünsche frei, was zunächst zu Chaos, dann zu immer mehr Verantwortungsgefühl führt. 2017 hat Bertelegni ihr zweites Buch, „La chiave dell’amicizia“ („Der Schlüssel der Freundschaft“) veröffentlicht, eine Fantasygeschichte, die noch nicht übersetzt ist.
Aktuell ist bei Fischer die Reihe „Mein Dilemma bist du“ von Cristina Chiperi zu haben. Die ersten beiden Bänder der Trilogie sind bereits erschienen, Teil drei erscheint im Herbst. Chiperi hat, als sie 16 Jahre alt war, eine Fanfiktion zu der vor ein paar Jahren angesagten Influenzergruppe Magcon um den US-Amerikaner Cameron Dallas geschrieben. Kapitelweise hat sie das On-Off-Drama zwischen der Ich-Erzählerin Chris und Cameron auf Wattpad hochgeladen und jede Menge Klicks gesammelt. Angeblich haben sechs Millionen Italienerinnen ihre Geschichten gelesen – doch das scheint mir etwas übertrieben. Als ein italienischer Verlag dann Printbücher daraus gemacht hat, ist der Fischer Verlag aufgesprungen. Dass das junge Alter von Autorinnen jedoch nicht immer zum Erfolg führt, merkt man momentan, da die Dilemma-Reihe gerade komplett untergeht (was durchaus an der dünnen Geschichte liegt).
Weiter geht’s im dritten Teil…
Dies ist der zweite von drei Beiträgen zur italienischen Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland. Den ersten Teil könnt ihr hier nochmal nachlesen. Der dritte Teil behandelt schlussendlich “Die erwachsenen Autor_innen”, “Die Fantasy-Autor_innen” und “Die Stillen”. Viel Spaß bei der Lektüre! 🇮🇹
2 Kommentare zu „Gastbeitrag: Italienische Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland II“